Die Literaturseite von Eckart Winkler
Wettkampf der Worte

 

Daß ein Wort einen Preis gewinnt, ist eigentlich völlig absurd. Kann es schneller, höher, weiter als andere laufen, springen oder fallen, kann es Tore schießen, werfen oder verhindern? Oder gar singen, schauspielen oder Regie führen?

Aus Sicht der Veranstalter taugen Worte allerdings gut zu Kandidaten. Man braucht sie nicht zu fragen, ob sie teilnehmen wollen. Man braucht ihnen keinen Preis zu zahlen, denn sie könnten sich damit ohnehin nichts kaufen. Und sie grämen sich nicht, wenn sie nicht gewonnen haben. Komisch, daß es so lange gedauert hat, bis jemand auf die Idee gekommen ist, das schönste deutsche Wort zu küren.

Jetzt aber war es so weit. Gewonnen hat - man höre und staune - das Wort "Habseligkeiten". Die Entscheidung wurde durch eine Jury gefällt. Und die befand, daß hier mit einem "freundlich-mitleidigen Unterton" die Besitztümer etwa eines Kindes oder eines Obdachlosen" beschrieben würden. "Dabei lasse es den Eigentümer der Dinge "sympathisch und liebenswert" erscheinen." Aha.

Zur Auswahl standen 22 838 Einsendungen. Wäre es demokratisch hergegangen, hätte das Wort "Liebe" gewonnen, aber das war der Jury egal. Na ja, "Liebe", das wäre ja langweilig. Aber "Habseligkeiten", das finde ich gut. Ich gönne es diesem Wort von ganzem Herzen.

Auf den weiteren Plätzen folgten übrigens "Geborgenheit", "Lieben", "Augenblick" und "Rhabarbermarmelade". Im eigens ausgeschriebenen Kinder-Wettbewerb machte "Libelle" das Rennen. Eine Trennung nach Erwachsenen und Kindern erfolgte nicht aufgrund des Alters der zur Debatte stehenden Worte, sondern nach Einsendern, die nämlich gleich eine Begründung angeben mußten, warum das von ihnen ausgewählte Wort denn das schönste sein sollte. Dabei läßt sich über Geschmack gar nicht streiten. Oder doch?

Eine andere Sache sind die Unworte des Jahres, die seit 1991 gewählt werden. Da sind so nette Dinge zu finden wie "Rentnerschwemme", "Wohlstandmüll" oder "sozialverträgliches Frühableben". Auch hier kommt es nicht nur auf das Wort an, sondern auch darauf, wer es in welchem Zusammenhang gesagt hat. Es wird jeweils ein Wort zum Unwort des Jahres gewählt, das den größten sprachlichen Mißgriff des Jahres darstellt.

Das Unwort des Jahres hat seine eigene Internetseite: www.unwortdesjahres.org. Hier gibt es viele Informationen zum Thema und selbstverständlich die komplette Liste aller bisherigen Wettbewerbe mit den weiteren Plazierten.

Bereits seit 1971 wird von der Gesellschaft für Deutsche Sprache das Wort des Jahres gekürt. Blickt man in die Anfänge zurück, so ist es ja noch ganz lustig. "Heiße Höschen" landete da 1971 immerhin auf Platz 6, "die Schlümpfe" 1978 auf Platz 5, direkt vor "Disco". Die "Neue Deutsche Welle" schaffte es 1982 gar nur auf Platz 9.

Sieht man sich die heutigen Listen an, so findet man da fast nur noch Begriffe, die allesamt auch als Unworte des Jahres taugen würden: "Das alte Europa" als Wort des Jahres 2003 erfüllt doch ebenso die Unwort-Bedingungen wie "Teuro" als Gewinner im Jahr 2002. Auch auf den Plätzen wimmelt es von Unwörtern: "Steuerbegünstigungsabbaugesetz", "Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz" oder "eingebettete Journalisten". Dabei stellt man sich unter dem Wort des Jahres doch - gegenüber dem Unwort - eher etwas Positives vor??!

Die komplette Liste ist inklusive Plazierungen ebenfalls im Internet verfügbar, und zwar unter der Seite der Gesellschaft für Deutsche Sprache http://www.gfds.de. Hier gibt es die Unwörter gleich nochmal, aber ohne Begründung.

Rekordverdächtig ist das Wort "Unkameradschaftlichkeit". Es ist allerdings nicht gewählt worden. Weder von einer Jury, noch vom Publikum. Nein, es ist das längste nicht zusammengesetzte Wort der deutschen Sprache. Hat irgendjemand mal herausgefunden. Und ich kenne auch kein längeres. Zum Vergleich: Das oben zitierte Wort "Steuerbegünstigungsabbaugesetz" ist zwar länger. Man könnte aber auch sagen: "Gesetz zum Abbau von Steuerbegünstigungen". So etwas geht bei "Unkameradschaftlichkeit" nicht.

Klarer ist es beim kürzesten Wort. Wenn man von Ausrufen wie "A" und "O" absieht, die man korrekterweise ohnehin als "Ah" und "Oh" schreiben müßte, so gibt es eigentlich erst ab zwei Buchstaben richtige Worte: "Ei" und "du", vielleicht auch noch andere.

Tja, und was sagt uns das nun alles? Können Worte Sieger sein? Können sie sich als Sieger fühlen? Oder ärgern sie sich im Fall der Niederlage? Vielleicht müssen wir einfach abwarten, was sich auf diesem Gebiet noch alles tut. Die Wissenschaft schläft nicht, und bestimmt gibt es schon bald neue Erkenntnisse.

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, Oktober 2004, www.eckart-winkler.de

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