Die Literaturseite von Eckart Winkler
Neulich vor Gericht

 

Ja, Leute, jetzt war ich doch gerade vor Gericht. Also, nicht daß das bei mir Gewohnheit wäre, nein das war wirklich das allererste Mal. Und nur wegen eines geringfügigen Parkvergehens. Nun gut, ich hatte Glück, das Verfahren wurde eingestellt. Aber in diesem Zusammenhang ist mir doch einiges durch den Kopf gegangen.

Was wäre denn, wenn dem Richter meine Nase nicht gepaßt hätte? Wenn ihm bei mir irgendwas gegen den Strich gegangen wäre? Dann hätte ich doch wahrscheinlich keine Chance gehabt. Und nicht nur diesmal, sondern auch beim nächsten und übernächsten Fall. Ich spreche natürlich nur von der Theorie, ich habe nicht vor, Dauergast vor Gericht zu werden.

Jedenfalls würde mir doch immer derselbe Richter vorgesetzt. Jedesmal der Richter, der mich nicht leiden kann. Und jedesmal der Führerschein weg. Oder Punkte in Flensburg. Oder was auch immer.

Da frage ich mich doch: Warum kann man sich seinen Richter nicht aussuchen? Das geht in anderen Bereichen doch auch. Wenn mir mein Zahnarzt nicht helfen kann, nehme ich den nächsten. Die Krankenkasse, die mir nicht paßt, kann ich kündigen. Wir suchen uns die Telefongesellschaft aus und neuerdings sogar den Stromerzeuger. Warum nicht auch den Richter?

Natürlich, wenn man sich das so überlegt, müßten die Richter dann selbständig sein. Aber das, ohne Zweifel, wäre eine unschlagbare Alternative zum derzeitigen System.

Die Vorteile lägen auf der Hand: Die Richter wären selbständig, müßten also nicht mehr durch Steuergelder finanziert werden. Ein riesiger Spareffekt, der sich auf den gesamten Staatshaushalt auswirken würde.

Finanzieren würden sich diese selbständigen Richter durch Geldbußen und -strafen, die sie verhängen, ist ja klar. Sie dürften natürlich nicht maßlos werden, denn aufgrund der freien Richterwahl würde ein zu "strenger" Richter von keinem Kandidaten mehr aufgesucht.

Jeder würde zu dem Richter gehen, der bekanntermaßen die mildesten Urteile verhängt. Der würde dann einen Riesenzulauf erhalten und könnte seine "Preise" erhöhen, natürlich auch, um sein Arbeitspensum zu verringern. Ja, alles würde sich im Laufe der Zeit im Sinne der freien Marktwirtschaft regulieren.

Wäre das nicht ein Ziel, das wir als Vertreter und Verfechter dieser freien Marktwirtschaft unbedingt verfolgen sollten?

Wahrscheinlich ginge die Entwicklung dann aber noch weiter. Mehrere Richter würden sich zu "Richter-Kanzleien" zusammenschließen, um als Gesamtheit die verschiedenen juristischen Bereiche kompetent abdecken zu können. Ein Verfahren, das bei den Rechtsanwälten schon lange gang und gäbe ist.

Im Laufe der Zeit würden auf diese Art größere Firmen entstehen. Ich sehe das schon vor mir: Die "Richter AG" oder die "Verurteilungs-GmbH". Vielleicht schließen die sich dann mit Rechtsanwalts-Firmen zusammen, bei denen man ein juristisches Verfahren zum Sonderpreis im Paket kaufen kann. Unter Umständen müßten dazu die Staatsanwälte mit ins Boot geholt werden.

Am Ende stünde dann wahrscheinlich der Jura-Konzern, der sämtliche juristischen Leistungen anbietet. Denkbar wären Schnellverfahren per Bildtelefon-Konferenzschaltung oder auch Verfahren via Internet-Chat. Der Delinquent hat lediglich seine Kreditkarten-Nummer anzugeben. Und um Personalkosten zu sparen, könnten über das Internet auch voll automatisierte Verfahren angeboten werden. Die Angaben zur Sache muß man dann in ein Formular eintragen, das Urteil kommt per Email. Verfahrenskosten und Geldstrafe werden abgebucht.

Tja, Leute, so weit sind wir aber noch lange nicht. Freue ich mich also erst mal, daß mein Richter mein Verfahren eingestellt hat und träume weiter von der schönen neuen Welt.

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, Oktober 1999, www.eckart-winkler.de

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