Die Literaturseite von Eckart Winkler
Netzliteratur oder Literatur im Netz?

 

Seit das Internet eine weite Verbreitung gefunden hat, kann man immer wieder lesen, es müsse eine Netzliteratur geben. Das solle eine Literatur sein, die die Eigenheiten des Internet nutze und die demzufolge nur im Internet existieren könne. Ein Abdruck in einem Buch oder einer Zeitschrift wäre demnach unmöglich, da diese Medien nicht über die Eigenheiten des Internet verfügen.

Ein interessanter Gedanke ist das. Eine Vielzahl an Wettbewerben wurde ausgeschrieben, es gingen Beiträge ein, sogar wurden Gewinner gekürt. Dennoch - nie wurden die Kriterien in vollem Umfang erfüllt, wie man sich das eigentlich erhofft hatte. Entweder hatte man es mit "herkömmlicher" Literatur zu tun, die eben statt in einem Buch im Internet veröffentlicht wurde. Oder es handelte sich um eine Ansammlung von Effekten, die neben den im Vordergrund stehenden Effekten auch ein paar Texte enthielten, weil es die Aufgabenstellung verlangt hatte.

Bis heute ist unklar, wie Netzliteratur auszusehen hat. Wer immer die Existenz einer eigenen Netzliteratur propagiert, sei aufgefordert, ein Beispiel zu geben. Dann kann man darüber diskutieren, man kann überprüfen, ob das tatsächlich der geläufigen Definition von Literatur entspricht, man kann den bisherigen Literaturbegriff erweitern oder modifizieren. Bis dahin ist davon auszugehen, daß eine eigene Netzliteratur nicht existiert. Vielmehr haben wir es zu tun mit einer "Literatur im Netz". Mit Texten also, die statt in einem Buch oder einer Zeitschrift im Internet veröffentlicht werden, weil dies zum Beispiel billiger oder schneller ist.

So betrachtet, hat das Internet eine große Bedeutung erlangt. Die Veröffentlichung von Texten ist gegenüber der Veröffentlichung als Druckwerk zum Kinderspiel geworden. Es ist nun möglich, in sehr kurzer Zeit gleichgesinnte Autoren und auch Leser zusammenzubringen. Projekte sind denkbar und finden bereits statt, bei denen mehrere Autoren an einem mehr oder minder großen Text zusammenarbeiten. Sie müssen sich noch nicht einmal kennen oder jemals gesehen haben.

Eines liegt für die meisten der Autoren aber nach wie vor in weiter Ferne: Vom Schreiben leben zu können. Ein von vielen Autoren vieler Literaturseiten gehegter Wunsch wird sich auch durch das Internet nur schwerlich erfüllen lassen. Das Lesen eines im Internet veröffentlichten Textes ist kostenlos, zumindest in den meisten Fällen. Geld läßt sich auch heute normalerweise nur durch Druckerzeugnisse im Zusammenhang mit großen verkauften Auflagen machen. Wenn er schon bezahlen soll, möchte der Kunde etwas in der Hand haben und nicht nur ein paar Bits und Bytes.

Vielleicht wird es durch künftige Bezahlsysteme im Internet die theoretische Möglichkeit geben, im Internet veröffentlichte Texte unmittelbar zu Geld zu machen. Aber auch da wird es der unbekannte Autor schwer haben. Ob es jemals möglich sein wird, sich dadurch zu einem bekannten Autor hochzuarbeiten, der seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben verdienen kann, bleibt abzuwarten.

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, Mai 2002, www.eckart-winkler.de

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