Die Literaturseite von Eckart Winkler
Haltbarkeitsdatum

 

Stehe ich doch heute im Supermarkt und will eine Flasche Ketchup kaufen. Ist ja eigentlich nichts Besonderes, aber heutzutage muß man ja immer sehen, ob das Zeug nicht schon abgelaufen ist, will sagen, ob das Haltbarkeitsdatum nicht schon überschritten ist.

Also nicht daß das so ein Spleen von mir wäre, nein, ich habe da schon meine ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Also neulich, da wollte ich eine Packung Grillwürste kaufen, war eben eingeladen auf einer Grillfete. Und da macht es einen ziemlich schlechten Eindruck, wenn man da hinkommt, so ganz ohne Geschenk und noch nicht mal was zum Essen oder Trinken dabei.

Jedenfalls kaufe ich diese Packung Grillwürste, hatte nicht viel Zeit, hetze durch den Supermarkt, bezahle, und alles war OK!? Nein, eben nicht. Zuhause sehe ich auf die Packung, und was denken Sie? Schon seit über einer Woche abgelaufen! Ist das nicht eine Unverschämtheit? Wenigstens haben sie es umgetauscht, das war wohl auch das Mindeste. Aber seitdem kontrolliere ich jedesmal erst das Haltbarkeitsdatum, wenn ich was kaufe.

Das Dumme ist eben nur, daß sich seither die Zeit, die ich für meinen Einkauf brauche, ungefähr vervierfacht hat. Denken Sie bloß nicht, ich hätte Schwierigkeiten mit dem Lesen, nein, nein, das ganz sicher nicht. Ich kann lesen, sogar Zahlen und sogar Haltbarkeitsdaten. Aber was ich lesen soll, muß ich zumindest vorher mal gefunden haben, sonst klappt es nicht.

Und da wären wir auch schon beim Problem. Habe ich also diese Flasche Ketchup in der Hand. War nicht meine Marke, irgend eine andere eben, die ich nur vom Namen kannte, aber noch nie probiert hatte. Also, meine Marke hatten die leider nicht da, aber gerade beim Ketchup muß man ja sehr vorsichtig sein, da kann man wirklich nicht alles nehmen, da ist viel Schrott dabei.

Aber, wiegesagt, die hier kannte ich schon vom Namen her, und da schien es kein Risiko zu sein, die Flasche auch zu kaufen. Nur das Haltbarkeitsdatum konnte eben dem Kauf noch entgegenstehen. Sehe ich also oben auf den Deckel: Kein Datum zu finden. Also, bei meiner Marke steht das immer oben auf dem Deckel drauf. Aber hier: Fehlanzeige.

Seitlich am Deckel auch nichts zu finden. Nichts aufgedruckt, nichts eingestanzt, auch nichts Kleingedrucktes. Ich arbeite mich weiter nach unten durch. Ein Etikett gab es direkt am Hals. Auch hier nichts. Ohne Konservierungsstoffe und ohne Bindemittel, hieß es hier. Ist ja gut, Bindemittel schmecken mir sowieso nicht, und auf Konservierungsstoffe kann ich, geschmacklich gesehen, gern verzichten.

Unten, am Flaschenbauch oder wie will man das Ding bezeichnen, wieder: Ohne Konservierungsstoffe und ohne Bindemittel. Weiß ich ja bereits, damit habe ich mich ja nun schon abgefunden, aber das Haltbarkeitsdatum hätte mich doch noch interessiert. Auf der anderen Seite gab es dann noch ein Etikett, etwas kleiner und mit viel Kleingedrucktem. Ah, denke ich, wenn es hier nicht dabei ist, dann weiß ich auch keinen Rat mehr.

Zutaten waren da erläutert, sicher, das ist ja auch vorgeschrieben. Daß da Tomatenmark drin ist, gut, das ist zwar interessant zu wissen, aber das habe ich mir sowieso schon gedacht. Zucker, Salz, Gewürze, das zieht ja niemand in Zweifel. Branntweinessig und Glukosesirup war auch drin. Weiß zwar nicht, was das ist. Aber wem es schmeckt, der soll es haben, da bin ich durchaus offen. Und es ist auch absolut wichtig, daß das auf der Flasche draufsteht. Aber mir ist es mindestens ebenso wichtig, daß das Haltbarkeitsdatum draufsteht, da bleibe ich jetzt hart.

Noch gab ich ja auch nicht auf. Denn es ging noch eine Weile weiter. Verpackungsmaterial war Glas mit einer Verschlußkappe aus Weißblech. Toll, darauf wäre ich von alleine nie gekommen. Auch die Nährwertangaben waren ja lebenswichtig für mich. OK, ich bin wieder ungerecht, es gibt ja Leute, die müssen wirklich wissen, daß das Zeug da 93 Kilokalorien pro 100 Gramm enthält und 20 Gramm Kohlenhydrate oder 1 Gramm Eiweiß.

Also, ich bin jedenfalls dafür, daß das alles auf dem Etikett draufsteht, man will ja schließlich darüber informiert sein, was man da so in sich reinschaufelt. Aber das nutzt einem ja alles nichts, wenn das Ding schon abgelaufen ist. Es half einfach nichts, das Haltbarkeitsdatum mußte her. Und tatsächlich, jetzt sah ich was. Ganz unten auf dem Etikett, da stand was.

Nein, nicht das Haltbarkeitsdatum, das wäre ja auch zu einfach gewesen. Nein, nein, da stand der Text: Mindestens haltbar bis: Siehe Flaschenboden. Ja, warum eigentlich nicht? Warum soll das nicht auf dem Flaschenboden stehen? Der wird ja sonst eigentlich zu nichts gebraucht, also ist das eine ganz vernünftige Lösung! Nur wissen muß man es, das ist der Punkt.

Na, und da Ketchupflaschen sowieso keine Pfandflaschen sind, kann das Datum auch fest im Boden verankert sein. Die Flasche landet im Flaschencontainer und wird beim nächsten Mal ganz neu gegossen, sogar mit neuem Haltbarkeitsdatum.

Sehe ich mir das Datum also mal an. Und was denken Sie? Noch über ein ganzes Jahr war die Flasche haltbar! Und das ohne Konservierungsstoffe! Hätte ich das geahnt. Wer kann denn wissen, daß Ketchup so lange haltbar ist?! Ich jedenfalls nicht. Ich dachte, da fängt dann irgendwann der Branntweinessig zu gären an, der Glukosesirup wird ranzig und das Tomatenmark zieht Blasen.

Also, da hätte ich mir den ganzen Aufwand auch sparen können, wenn ich gewußt hätte, daß das alles nicht zutrifft. Na ja, aber irgendwie geht es ja ums Prinzip, da lasse ich nicht gern mit mir diskutieren. Wenn das Haltbarkeitsdatum auf die Flasche gehört, dann muß es auch zu finden sein, und zwar schnell.

Also, ich fordere eine einheitliche Beschriftung aller Ketchupflaschen. Das Haltbarkeitsdatum muß immer an ein und derselben Stelle stehen. Egal ob von Firma X oder von Firma Y. Und mir ist es auch egal, ob das der Deckel, der Flaschenboden oder das Etikett am Flaschenhals ist, man muß es nur wissen.

Vielleicht sollte gleich ein Kommitee zusammentreten, das die Beschriftungen der Ketchupflaschen festlegt. Wo soll das Haltbarkeitsdatum stehen, wo die Zutaten, wo die verwendeten Verpackungsmaterialien und wo die Nährwerte? Das sind doch alles wichtige Fragen, über die erst diskutiert werden muß.

Und aufgrund der immer größeren wirtschaftlichen Verflechtungen sollte das Kommitee natürlich international sein. Was würde es uns denn nutzen, wenn die deutschen Flaschen einheitlich beschriftet sind, aber eine Flasche aus Madagaskar oder Grönland plötzlich nicht mehr? Das wäre doch erst recht ärgerlich.

Also, wenn das alles keine Zustimmung bei der breiten Öffentlichkeit findet, bin ich auch bereit, eine politische Partei zu gründen, die die Interessen der Ketchup-Verbraucher vertritt. Wäre doch gelacht, wenn man dem Problem so nicht zu einer Lösung verhelfen könnte. Und so viele Stimmen wie diese Dings-Partei, wie hieß die noch, ach, Sie wissen schon, so viele Stimmen bekommt meine Partei auf jeden Fall!

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, Januar 1995, überarbeitet Januar 2002, www.eckart-winkler.de

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