Die Literaturseite von Eckart Winkler
Die Fliege wars

 

Es ist ein schöner Sommertag. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Heiß ist es, vielleicht ein bißchen zu heiß. Die Vögel zwitschern.

Ein junger Mann sitzt am Schreibtisch. Student ist er, arbeitet an einer Hausarbeit. Er ist konzentriert, aber eine Fliege stört ihn. Pausenlos summt sie um ihn herum. Da nimmt er eine alte Zeitung und schlägt nach ihr, während sie an der Wand sitzt. Vergebens. Die Fliege ist schneller.

Jetzt sitzt sie an der Decke. Der Student stellt sich auf einen Stuhl und versucht es erneut. Wieder vergebens. Fast kommt er ins Straucheln, weil der Stuhl etwas wackelig ist. Aber es geht noch einmal gut.

Er setzt sich wieder hin, hat keine Lust mehr zum Fliegenjagen. Aber die Konzentration ist dahin. Das Summen läßt nicht nach, und die Fliege geht ihm nicht aus dem Kopf. Jetzt muß es sein. Entschlossen steht er wieder auf, schnappt sich die Zeitung. Ein Schlag, wieder knapp daneben.

Seine ganzen Sinne sind nun auf das feindliche Objekt gerichtet. Auch der nächste Schlag daneben. Dafür erwischt es eine kleine Blumenvase. Leer zwar, aber doch recht hübsch gewesen. Einen Moment hält er inne, der Student. Aber was hilft es, der Zweck heiligt die Mittel.

Wieder daneben und nochmal daneben. Jetzt fällt die Flasche roter Burgunder, die eben noch repräsentativ auf dem Fernseher stand. Blutrot färbt sich der helle Teppichboden.

Und weiter geht es. Die Wanduhr fällt der Treibjagd zum Opfer, ebenso ein selbstgebasteltes Mobilé aus Jugendtagen. Und endlich, kaum hatte er noch daran geglaubt, da hat er sie. Ein unappetitlicher schwarzer Fleck an der Wand. Mehr ist nicht übrig von dem Untier. Das ist die Ursache des Chaos', das nun in diesem Zimmer herrscht.

Kaum Beachtung schenkt er einem kleinen Blumentopf, der eben noch auf dem Fensterbrett stand. Was aber ist mit diesem? Jedenfalls dient er nicht, die Unordnung in diesem Zimmer zu vervollständigen. Nein, der letzte, der alles entscheidende Hieb beförderte das Ding nach draußen. Und dort fiel es geradewegs nach unten, vier Stockwerke tief. Und unser Student steht oben, mit stolzgeschwellter Brust.

Weiß er, was er da angerichtet hat? Weiß er, was da unten jetzt los ist? Nein, er weiß es nicht. Nein, sie plagt ihn nicht, die Vorahnung dessen, was da kommt.

Ein Ausländer war es, der da durch die Straßen spazierte. Nichts ahnend und froh. Es ist ja auch ein schöner Sommertag, es ist heiß, und die Vögel zwitschern.

Jedoch auch die Vögel hielten den Atem an in jenem Augenblick. Als der Student zum alles entscheidenden Schlag ansetzte und tatsächlich der Fliege den Garaus machte. Und keinerlei Notiz davon nahm, daß er den kleinen Blumentopf nach draußen beförderte.

Wenn es auch nur ein kleiner Blumentopf war, vier Stockwerke verwandelten es zum Geschoß, zur Waffe, zur Bombe. Und sie traf den Ausländer mitten auf den Kopf, die Bombe.

Und da liegt er nun in seinem Blut. Weiß nicht, wie ihm geschehen ist. Es ist doch so ein schöner Sommertag, wie kann da so etwas passieren?! Und wie er das so denkt, da ists auch schon vorbei mit ihm. Er stirbt an Ort und Stelle, ehe noch der Krankenwagen eintrifft. Lediglich den Tod kann der Amtsarzt diagnostizieren.

Schnell informiert ist der Botschafter des fremden Landes, dem der soeben Gestorbene angehört hat. Und schnell richtet er seinen Protest an die Regierung. Ein Anschlag war das, nichts als ein verabscheuungswürdiger Anschlag. Einzig mit dem Ziel, einen hochgeachteten Bürger dieses fremden Landes zu töten. Nein, warum, die Regierung weist den Vorwurf von sich. Es war doch nur ein Versehen. Ein sehr bedauerliches, aber immerhin. Zum Zeichen des guten Willens aber wird der Student in Haft genommen.

Was hilft es, der Botschafter will Entschuldigung, will Genugtuung, will den Studenten. Als die Regierung den aber nicht ausliefern will, gehen andere Bürger des fremden Landes auf die Straße. Sie protestieren, wollen Entschuldigung, wollen Genugtuung, wollen den Studenten. Aber die Regierung liefert den Studenten nicht aus.

Immer größer wird der Protest, auch in dem fremden Land gehen die Menschen nun auf die Straße. Es schaltet sich die Regierung des fremden Landes ein. Auch sie will Entschuldigung, will Genugtuung, will den Studenten. Jedoch sie sieht, daß sie das nicht erreichen kann. So erklärt sie den Krieg.

Nun geht alles ganz schnell. West und Ost, Nord und Süd verbündet sich oder verbündet sich nicht, erklärt den Krieg oder nicht. In Kürze haben wir den Weltkrieg. Einer kämpft gegen den anderen und der andere gegen den einen. Eingesetzt werden Messer und Schwerter, Pistolen und Gewehre, Panzer, Kriegsschiffe, Flugzeuge, Satelliten. Chemische und biologische Waffen. Und zum Schluß die Atombombe.

Und dann ist es aus. Es ist ein schöner Sommertag. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Heiß ist es, vielleicht ein bißchen zu heiß. Aber kein Vogel zwitschert.

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, Juni 2001, www.eckart-winkler.de

Übersicht